Interview mit Dr. Rita Löw, Chefärztin der Limes Schlossklinik Fürstenhof im Staatsbad Bad Brückenau
Die LIMES Schlossklinik Fürstenhof ist eine private Akutklinik, die auf die Behandlung von psychischen und psychosomatischen Krankheitsbildern sowie von Stressfolgeerkrankungen spezialisiert ist. Die Klinik im Staatsbad Bad Brückenau hat eine heilsame Umgebung geschaffen, ganz im Sinne des Healing Environment Konzeptes, in der man zur Ruhe kommen und nachhaltig genesen kann. Gemeinsam mit dem Gast/Patient erarbeitet das interdisziplinäre Team aus Fachärzten und Therapeuten einen hochindividualisierten Behandlungsplan. Im Interview erläutert Frau Dr. Rita Löw, Chefärztin der Limes Schlossklinik Fürstenhof, das besondere Konzept, zeigt Warnzeichen auf und stellt Wege zu besserer Lebensqualität vor.
Warum sind Aufenthalte mit mehreren Wochen oder Monaten so sinnvoll?
Dr. Rita Löw: Die ZEIT am Patienten ist wirklich das Kriterium, was den Unterschied macht. Hier in der Limesklinik gibt es keine Hetze, keinen Zeitdruck. Es ist uns sehr wichtig, die Selbstwirksamkeit in den Mittelpunkt zu stellen und die Körperlichkeit wahrzunehmen. Wir motivieren die Patienten dazu sich aktiv Zeit für sich zu nehmen und zu lernen, auf sich zu achten. Dabei ist es auch Ziel, den medialen Druck zu verringern, das heißt, deutlich weniger Handy.
Wie ist Ihr Therapiekonzept und was bringt das?
Dr. Rita Löw: Es ist uns immens wichtig, ein bedarfsgerechtes individuelles Therapieprogramm für jeden Patienten aufzustellen. Unser Konzept ist interdiszipinär verwoben, sportwissenschaftlich untermauert und verfügt über eine wissenschaftliche Basis. Unsere Fachkräfte befinden sich im engen Austausch über jeden Patienten, um Nuancen und Tendenzen im Gesundungsprozess aufzufangen und ggf. abzufedern. Unser Therapieangebot regt an, aktiv und kreativ schöpferisch tätig zu werden. Dabei können Patienten vieles ausprobieren, ohne eine Bewertung zu erfahren.
Ist es notwendig, Medikamente zu nehmen?
Dr. Rita Löw: Eine medikamentöse Behandlung ist je nach Bedarf und Schwere der Erkrankung erforderlich. Wir zwingen jedoch die Patienten nicht zu Medikamenten. Der Patient sollte bewusst JA zum Medikament sagen und es freiwillig nehmen. Es ist wichtig, dass im Rahmen des Gesundungsprozesses der Patient jederzeit frei ist und lernt, Verantwortung für sich zu übernehmen. Wir helfen dabei, ihn zu diesem Prozess zu befähigen.
Warum leiden immer mehr Menschen unter Erschöpfungszuständen?
Dr. Rita Löw: Es gibt eindeutige Gründe, warum die Menschen heute immer schneller in einen krankhaften Erschöpfungszustand kommen oder auch andere Krankheiten aufgrund des Drucks entwickeln.
- Punkt 1 ist die fehlende Bindung in der Familie. Familien sind heute oft klein, es fehlen Verwandte und damit die Gemeinschaft und manche helfende Hand. Wir sind viel schneller am Limit, weil uns keiner mehr auffängt oder unterstützt. Früher konnten wir uns bei der Tante ausweinen, und die Oma kocht auch nicht mehr.
- Punkt 2 ist die fehlende Bindung durch Gleichgesinnte und Freunde, z. B. im Verein.
- Punkt 3 ist die fehlende Kirche, vom Glauben ganz abgesehen. Früher war die Kirche ein wichtiger Faktor im sozialen Gefüge durch Anbindung an Kinder- und Jugendgruppen u. v. m. Sie halt Halt und Struktur im Leben gegeben.
- Punkt 4: Auch in der Schule fehlt oft der Austausch, der Blick aufs Handy scheint viel wichtiger. Gleiches gilt im Freundeskreis. Werden noch aktiv Gespräche geführt oder schaut jeder auf sein SmartPhone?
All diese gesellschaftlichen Entwicklungen wirken zusammen. Und das Fatale ist, dass sich unser Leben immer mehr in den virtuellen Raum verlagert und wir uns kaum noch von Mensch zu Mensch an „echten“ Orten austauschen und nicht nur im Social Media Portal.
Früher hatten wir diese Informationsflut vom Handy nicht. So bleibt uns heute wenig Zeit für uns selbst. Die Ablenkung von uns selbst ist groß. Wir kommen aus dem Spüren. Und: wir meinen uns mit dem Handy zu entspannen. Doch beim Scrollen durch all die Nachrichten kommen wir aus dem Stresslevel nicht heraus.
Ist das Handy wirklich so gefährlich, vor allem für Kinder und Jugendliche?
Dr. Rita Löw: Leider ja. Die neue Generation hat häufig schon eine digitale Identität, die mit viel Zeit und Hingabe gepflegt wird in der Hoffnung auf Anerkennung durch die „Freunde“. Oft entsteht eine Art Avatar von sich selbst, der immer gut gelaunt ist, tolle Erlebnisse hat und geliebt wird. Wir sollten hinterfragen, welche digitale Wertigkeit hier vermittelt wird. Die natürliche Psyche ist viel wichtiger. Die Diskrepanz öffnet sich mit zunehmendem Alter. Viele junge Menschen halten dieses Kunstgebilde mit viel Kraft aufrecht, um weiter attraktiv zu wirken.
Viele verlieren sich in diesem Medium. Die Erkrankungen von Jugendlichen nehmen in jeder Statistik zu. Wir selbst haben so viele Anfragen von Jugendlichen in Pubertät, können aber hier in der Limes Schlossklinik nur Patienten ab 18 Jahre aufnehmen. Ab Frühsommer werden wir aufgrund der immensen Nachfrage eine weitere Klinik für Kinder- und Jugendpsychiatrie in Berchtesgaden eröffnen.
Welche Alarmsignale sollte ich bei mir beachten?
Dr. Rita Löw: Wenn Sie eine innere Leere spüren, Ihren Körper nicht mehr spüren, ist das ein Warnsignal. Ziehen Sie sich zurück und begegnen sich nur noch virtuell sehr stark? Alarmzeichen sind auch häufiger Ärger in der Arbeit, weil man Stress nicht ausgleichen kann. Auch Gereiztheit, schnelle Explosionen, Verweigerung, negatives Denken sind Entwicklungen, die eine Erkrankung andeuten können.
Wichtig ist mir auch an dieser Stelle zu betonen, dass genau hier in diesem Stadium Suchtgefahr für Drogen besteht, weil man keinen Halt hat. Alkohol schafft vermeintliche Entspannung und wird unbewusst gesteigert. Dazu kommen Tabletten und schon ist man in einer Situation, die man nicht wollte.
Was können wir also tun, um wieder zu uns selbst zu finden? Welche Tipps haben Sie?
Dr. Rita Löw: Wir sollten lernen, auf uns selbst zu achten. Gruppen wie z. B. Vereine sind wichtig, denn dort erfahren wir, dass wir nicht der oder die Wichtigste sind. Wir bekommen Bestätigung, aber auch Reflektion, was wir vielleicht nicht so toll machen. Und das ist auch wichtig!
Meine Tipps für mehr Achtsamkeit:
1. Gehen Sie in einen Verein, pflegen Sie echte Freundschaften.
2. Nehmen Sie sich Zeit, um in den Tag zu starten und machen Sie sich bewusst, dass der Tag jetzt beginnt.
3. Machen Sie einfache Atemübungen oder Yoga.
4. Danken Sie immer wieder, es gibt immer einen Grund zum Danken. Es geht uns gut in Deutschland, unser Leben funktioniert. Wenn wir danken, sind wir auf anderem Niveau, als wenn wir ständig herummäkeln. Einfach nur bewusst ein- und ausatmen, das hilft uns, mit unserem Körper in Kontakt zu kommen.
5. Suchen Sie das aktive Gespräch und hören Sie auch aktiv zu. Diese Wertschätzung tut beiden gut. Die Natur gibt uns Rhythmus, gibt uns Struktur mit den Jahreszeiten.
6. Gehen Sie in die Natur, nehmen Sie diese bewusst und mit Zeit wahr, z.B. Tautropfen, die Wolken am Himmel etc. Laufen Sie mal barfuß, machen Sie Kneipptreten. Die Natur ist der beste Doktor!
7. Arbeiten Sie mit Erde, gärtnern Sie – das geht auch auf dem Balkon. Sie werden sich „geerdet“ fühlen.
8. Lassen Sie den Tag auch abends bewusst ausklingen und reflektieren Sie, was gut war, was schön. Sprechen Sie mit Ihrem Partner, einer Freundin darüber. Lesen Sie ein Buch, statt zum Handy zu greifen. Wichtig: Das Handy NICHT ins Schlafzimmer mitnehmen!!
Das klingt so einfach?
Dr. Rita Löw: Ja, es ist auch einfach, ein Leben im Einklang mit sich selbst zu führen, wenn man sich ZEIT für sich selbst nimmt und das „echte“ Leben genießt und den Kontakt zur Natur sucht. Das sind alles keine neuen Erkenntnisse, sondern Jahrtausende altes Wissen.